Das war das Olympia-Sommercamp 2012

24.07.2012

Vom 24.-26.07. verbrachten 18 Kinder und Jugendliche drei Tage auf der Islandpferdeanlage in Belm, in der Nähe von Osnabrück. Sie lebten diese Tage im „Olympia-Sommercamp“ in drei kleinen Gruppen mit ihrem Betreuer/ihrer Betreuerin zusammen. Geschlafen wurde in Gruppenzelten, wodurch die Kinder die gesamte Zeit draußen in der Natur verbrachten. Jede Gruppe trug die Verantwortung für ein eigens Pferd, für das sie gemeinsam sorgen mussten (füttern, abmisten, pflegen etc.). Der regelmäßige Kontakt mit den Pferden und das Reiten bildeten neben dem Thema „Olympia“ den Schwerpunkt des Camps.

Da Eingewöhnen in die ungewohnte Umgebung gelang den Kindern unterschiedlich schnell und auf ihre je eigene Weise. Ahmed*, ein 8-jähriger türkischer Junge, dessen zwei Geschwister an Krebs erkrankt sind, nimmt sehr schnell Kontakt zu den anderen Kindern auf, ist mitten „im Geschehen“. Ganz anders Veronika, ein 7-jähriges Mädchen, das mit ihren Eltern als Spätaussiedler aufgrund der Erkrankung der kleinen Schwester nach Deutschland kam, zieht es zu Beginn zu den Pferden hin, sie verfolgt den für sie ungewohnten Trubel der ersten Stunden mehr vom Rand aus.

Die gemeinsame Begrüßung aller Kinder durch die BegleiterInnen in einer Runde beinhaltete auch das gegenseitige Vorstellen und erste Kennenlernen der Kinder untereinander. Dazu gehörte auch, sich einen Gruppennamen zu überlegen und das jeweilige Zeit einzurichten. Sie erfuhren den Ablauf und die Campregeln und konnten sich auf die Aktionen des ersten Tages einstellen.

Die angebotenen fünf AGs wurden von allen Kindern im Wechsel durchlaufen. Hier hatten sie Gelegenheit, eigene Fähigkeiten zu zeigen, neu zu erwerben und einige Kinder erfuhren hierbei zum ersten Mal, was für ein befriedigendes Gefühl es sein kann, selbst etwas herzustellen bzw. zu gestalten. Sie erlebten sich in den AGs auf eine neue Art selbstwirksam und es erfüllte sie mit Stolz und Selbstbewusstsein. Folgende AGs fanden statt:

  • Voltigieren (je nach individuellen Möglichkeiten)
  • Traumfänger basteln (aus Wolle, Draht, Federn und Perlen)
  • Metall-Leder-Armbänder mit eingraviertem Namen/Geburtsdaten etc.
  • Abteilungsreiten (Reiten mit sechs Pferden im begrenzten Gelände)
  • Bogenschießen

Die einzelnen AGs

Jede AG hatte einen Schwerpunkt, um den Kindern bestimmte Erfahrungen und Erlebnisse zu ermöglichen.
Beim Voltigieren ging es vorrangig darum, das die Kinder sich, ihrem Körper und dem Pferd vertrauen, aber auch eigene Grenzen zu er- und anzuerkennen. Besonders Kinder, die früh in ihrer Entwicklung damit konfrontiert wurden sind, dass auch junge Menschen (nämlich ein Geschwister) erkranken, sich nicht auf die Kraft des Körpers und sein Funktionieren verlassen können, entwickeln nicht selten ein unsicheres Körperverhältnis. Dies kann sich in übervorsichtigem Agieren äußern oder eben auch im Gegenteil, in waghalsigem Verhalten zeigen. So hatte Marek, der bei sportlichen Betätigungen, aber auch in alltäglichen Situationen durch sein risikoreiches Benehmen auffiel, beim Voltieren - nach einem beinah Sturz - sehr schnell begriffen, dass es nur gut klappt, wenn er sein Können realistisch einschätzt, sein Pferd nicht mit seiner Unruhe und seiner inneren Getriebenheit ansteckt und gut auf das achtet, was die Reitlehrerin ihm empfahl. Er gehörte zu den ersten Absolventen des Voltigierens und konnte sich anschließend wesentlich besser an die Campregeln halten und in die Gruppe integrieren.

Beim Basteln des Traumfängers setzten sich die Teilnehmenden automatisch mit ihren Träumen und Sehnsüchten auseinander. Sie erzählten sich während ihre Hände den Traumfänger erschufen was sie bewegt, was sie befürchten und es wurde deutlich, wie sehr die familiäre Situation ihre eigene Zukunftsvorstellung beeinflusst. Angestoßen durch die Ermutigung der AG-Leiterin fingen sie an, von eigenen, teils geheimen Wünschen zu erzählen, sie entwickelten in der Phantasie eine „magische“ Schutzhülle um sich, die sie vor allen düsteren und gefahrvollen Einflüssen schützt. Diese so entwickelten Bilder halfen z.B. Britta abends schlafen zu gehen, ohne die bange Erwartung ihres häufig wiederkehrenden Albtraums, ihre ganze Familie würde ins Nichts verschwinden.

Die Metall-Leder-Armbänder erfreuten sich einer hohen Beliebtheit. Zum Einen stanzten die Kinder ihren Namen hinein, fühlten sich wichtig und ernst genommen, im Mittelpunkt des Tuns. Zum Anderen konnten sie diese Armbänder aber auch verschenken, entweder der neuen Freundin aus dem Camp oder den Daheimgebliebenen.

Beim Abteilungsreiten stand das gemeinsame Erlebnis im Vordergrund. Kinder und Pferde mussten sich zum Gelingen aufeinander verlassen, sich in die Gruppe einfügen. In einer Gruppe zu reiten, war für die meisten Kinder eine völlig neue Erfahrung. Irene, ein zurückhaltendes Mädchen, erlebte staunend, wie das größte und kräftigste Pferd auf ihr Kommando hörte. Dies führte dazu, dass sie selbstbewusster auftrat, sich auch traute, in der großen Runde mit vernehmbarer Stimme etwas zu erzählen und von sich aus die anderen um etwas bitten konnte.

Körperspannung, ein Ziel im Auge zu haben und sich dafür von etwas zu lösen – alles Voraussetzungen, um das Bogenschießen zu lernen. Die Schützinnen und Schützen spürten, dass zur Zielerreichung nicht so sehr Kraft, sondern vielmehr Ausdauer und Genauigkeit wichtig waren. Für einige Jungen brauchte es etwas, bis sie akzeptieren konnten, dass nicht sie, sondern ein Mädchen die Zielsicherste von ihnen war. Der olympische Gedanke begleitete die Kinder dabei die ganze Zeit. Wenn unter 18 Kindern sieben verschiedene Nationalitäten vertreten sind (Deutschland, Russland, Polen, Türkei, Portugal, Albanien, Spanien) ist gegenseitige Rücksichtnahme und Respekt vor der Verschiedenheit der Erfahrungen eine Voraussetzung im guten Miteinander. Beim Olympia-Jux-Turnier lernten sie ihre jeweilige Mannschaft zu unterstützen. Kreative Lösungen und Geschick waren gefordert. Die Fähigkeiten der einzelnen Teammitglieder gut einzuschätzen, eigene Wünsche zurückzustellen und sich gegenseitig anzufeuern war ein Spielvorteil. Marco, der es sich im Schatten der geschwisterlichen Erkrankung zur Aufgabe gemacht hatte, alles können und bewältigen zu müssen, stellte staunend fest, dass die Disziplin „Luftballon rasieren“ für ihn nicht machbar war (er drückte viel zu stark), seiner kleinen zierlichen Teamkollegin Sandra aber mühelos gelang. Er war anschließend deutlich lockerer und konnte mit weniger innerem Stress zugeben, wenn er etwas nicht konnte. Die (bessere) Leistung einer „gegnerischen“ Mannschaft neidlos anzuerkennen und ihnen zu gratulieren, zusehen zu müssen, wie sie eine (selbstgebastelte) Medaille verliehen bekamen fiel nicht allen leicht und war doch ein Zeichen der Fairness und der menschlichen Größe.

"Die schönsten Tage seit langem"

Die Kinder erlebten an diesem Nachmittag viel Freude und Ausgelassenheit, nutzen die Wasserdisziplinen, um sich übermütig gegenseitig nass zu spritzen und genossen es, keine (selbstauferlegte) Verantwortung für andere tragen zu müssen. Ergänzt wurden das Leitthema „Olympia“ und die AGs durch Aktivitäten wie das allabendliche Lagerfeuer, einer Nachtwanderung und vielen freien Spielideen der Betreuerinnen und der Kinder selbst. Ein wichtiger, nicht zu unterschätzender Punkt ist das gemeinsame Essen. Viele Kinder erleben in ihren belasteten Familien wenig gemeinsame Mahlzeiten. Die Gemüse-Snack-Pause am Vormittag genossen die Kinder besonders, hatte sich doch jemand die Mühe gemacht, für sie (und nicht für die kranke Schwester, den kranken Bruder) „mundgerecht“ und appetitlich frisches Obst und Gemüse zuzubereiten.

Eine ähnlich wichtige Erfahrung war das abendliche Lagerfeuer. Beim gemeinsamen Sitzen um das Feuer, teils eng aneinander gekuschelt, erzählten, lachten und sangen sie. Das ganze Camp über gab es Erwachsene, die ihnen zuhörten, sie in ihren Anliegen ernst nahmen und sie nicht auf „später“ vertrösteten. Manuel, der unter besonders schwierigen Bedingungen lebt, zog es immer wieder ins Kochzelt, wo er sich vom Koch immer wieder verwöhnen ließ.
Die Kinder spürten, dass sie wichtig sind, gesehen werden, sie liebenswert sind. Die meisten wissen, dass ihre Eltern durch die Pflege/Behandlung der Geschwister stark eingebunden sind. Mit einem gut gefüllten Rucksack an Zuwendung, Freude und unvergesslichen Erfahrungen fuhren sie nach Hause und sind für eine ganze Zeit gerüstet, gefühlt in der Familie wieder in der „zweiten Reihe“ zu stehen.

Einige der Kinder werden in der Krebsberatungsstelle weiterhin einzeltherapeutisch begleitet, einige nehmen kommende Einladungen zu Tagesunternehmungen an (Zoobesuch, Fussballspiel) und einige warten auf die Einladung ins nächste Camp.
Aber alle sind sich einig:

„Das waren die schönsten Tage seit langem, die wir erlebt haben“

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* alle Namen der Kinder wurden verändert